30.11.2015

Anders sein

„Anders sein ist anstrengend!“ ist ein Satz, der neulich im Gespräch mit einem Kollegen fiel...

...und den ich seitdem in ruhigen Minuten in meinem Kopf umherschiebe.

Und dann muss ich spontan an meine Mutter denken, die sagt: „Wenn dich Dinge nachhaltig beschäftigen, dann steckt da wohl ein persönliches Thema dahinter.“ Und sie hat natürlich Recht, mit dem „anders sein“ habe ich meine Erfahrungen.

Ich bin Mitte 20 und die Beziehungen, die ich in meinem bisherigen Leben hatte, waren allesamt zu Frauen.
Meine sexuelle Orientierung an sich und das „Coming Out“ vor Menschen, die ich neu kennenlerne, ist mittlerweile kein großes Thema mehr für mich. - Gott sei Dank! -
Ich kann mich durchaus an Zeiten erinnern, in denen das anders war. Das, was man als „Coming Out“ bezeichnet, hatte ich mit 18. Das erste Mal verknallt in eine Frau war ich mit 12. Ich hab diesen Teil meines Selbst also sechs lange Jahre versteckt gehalten und irgendwie ging das schon.

Aber offen gestanden ist es schrecklich kräftezehrend, wenn man nicht über seine Gefühle reden kann, wenn man ständig ein Geheimnis mit sich herumträgt, wenn man Angst hat, was „Falsches“ zu sagen, wenn man befürchtet, dass es die anderen irgendwie merken, wenn man sich für sich und seine Gefühle und Gedanken schämt.
Mir wurde diese Geheimniskrämerei irgendwann zu viel.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich eine ganze Nacht nicht schlafen konnte und in der Küche verheult darauf gewartet habe, dass meine Mutter endlich aufsteht.
Und tatsächlich, ab diesem Zeitpunkt ging es steil bergauf: Kurz darauf lernte ich meine erste Freundin kennen, war kopflos verliebt und als es vorbei war, am Boden zerstört. Meine erste Beziehungserfahrung war durchaus nicht nur positiv - es gab sehr viele Tränen -  aber endlich bewegte sich etwas in meinem Leben und seitdem ist mir selten langweilig geworden.

Ich fürchte jedoch, dass mich das Thema „Coming Out“ nach meinem Studium bei der Arbeitssuche wieder mehr beschäftigen wird. Ich habe mir zum Thema „meine sexuelle Orientierung und mein Arbeitgeber“, natürlich schon Gedanken gemacht. Fest steht für mich, dass ich mich auf keinen Fall in der Arbeit verstecken möchte. Vermutlich bin ich auch deswegen für meine studienbegleitenden Praktika zu Unternehmen wie dem Frauentherapiezentrum und Janus gekommen.

Wie unfrei ich vor meinem „Coming Out“ war, ist mir erst danach bewusst geworden. Und dahin will ich unter überhaupt keinen Umständen zurück. Arbeitgeber, die damit ein Problem haben, kommen für mich deshalb schlicht nicht in Frage.
In der Diskussion „Coming out am Arbeitsplatz“ wird oft argumentiert, dass es den Arbeitgeber nichts angeht, was ich und du im Schlafzimmer machen. Und dem stimme ich völlig zu. Menschen, die so argumentieren, haben aber für meine Begriffe das eigentliche Thema nicht verstanden. Es geht hierbei nicht um Sex, sondern um alles, was drum herum passiert: um meine Identität und mein Leben. Es geht um die Dinge, die mich als Mensch beschäftigen und berühren und die sich dadurch auch auf mein Arbeiten auswirken.

Wir verbringen sehr viel Lebenszeit an unserem Arbeitsplatz und mit unseren Kollegen. Und wo so viel Nähe ist, entstehen zwischenmenschliche Beziehungen und Freundschaften. Die Vorstellung, dass Arbeit und Privatleben völlig getrennt voneinander existieren, ist für mich eine Utopie und vor allem nicht erstrebenswert. Da, wo ich arbeiten möchte, gibt es genügend Raum für ehrliche und offene Zwischenmenschlichkeiten.
 „Anders sein ist anstrengend?“ Einfach ich zu sein, ist für mich kein bisschen anstrengend. Sich zu verstecken hingegen ist schrecklich anstrengend. Anstrengend wird „anders sein“ da, wo kein Verständnis, wo keine Offenheit für Unterschiedlichkeiten ist.

Unternehmen, die Lust bekommen haben, aktiv zu signalisieren „ihr seid willkommen“, aber nicht wissen wie, kann ich die Sticks and Stones Karrieremesse, die am 03. & 04. Juni 2016 wieder in Berlin stattfindet, ans Herz legen. Die Messe richtet sich gezielt an Arbeitnehmer, die lesbisch, schwul, bisexuell, transgender oder intersex sind.

Ich werde da sein!

Autorin: Lea Bichler, Praktikantin bei Janus

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