13.02.2016

Zuviel Mitgefühl?

„Die 10 Nachteile der Klugheit.“ „Forscher warnen vor zu viel Intelligenz.“ „Ein wichtiges Detail gerät in Vergessenheit: Intelligenz hat durchaus Schattenseiten.“

„Die 10 Nachteile des Mitgefühls.“ „Forscher warnen vor zu viel Einfühlsamkeit.“ „Ein wichtiges Detail gerät in Vergessenheit: Empathie hat durchaus Schattenseiten.“

„Die 10 Nachteile, die gutaussehende Menschen haben.“ „Forscher warnen vor zu viel Schönheit.“ „Ein wichtiges Detail gerät in Vergessenheit: Gutes Aussehen hat durchaus Schattenseiten.“

Raten Sie mal: Ein Artikel, der kürzlich in einer renommierten Wochenzeitschrift erschienen ist, enthält wirklich die zitierten drei Sätze. (http://www.wiwo.de/erfolg/trends/empathie-die-zehn-nachteile-des-mitgefuehls/12858976.html) Die anderen beiden Zitate sind keine. Sie könnten allerdings aus dem gleichen journalistischen Bullshit-Bingo Baukasten stammen.

Ich stelle mir vor: In der Redaktionskonferenz bringt einer das Thema Empathie auf und sagt so etwas wie „Das scheint der neue Hype zu sein, dazu müssen wir auch mal etwas machen!“ Ein anderer antwortet vielleicht: „Ja, aber nicht das Übliche, eher eine Gegenposition einnehmen.“ Und dann kam, so stelle ich mir vor, der entscheidende Satz, von wem auch immer: „Das würden unsere Leser sicher gerne lesen!“ Na ja, und dann musste das jemand machen.

Das Thema Empathie ist zu groß, um es hier für ein Wirtschaftsmagazin-Bashing zu gebrauchen. Seiten müssen jede Woche gefüllt werden und nicht jeder Artikel kann erste Sahne sein, so, wie bei uns ja auch nicht immer alles 100%-ig klappt.  Ich will auch nicht daran glauben, so wie einer der Kommentatoren zu diesem Artikel es tut (Die Kommentare sind durchweg sehr fundiert und lesenswert!), dass die Wirtschaftswoche Empathie als Ganzes diffamieren möchte, weil die Wirtschaft von einem Weniger an Empathie in der Welt profitieren könnte.

Empathie als die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in die Gefühls- und Denkwelt, den kulturellen Hintergrund, eines anderen hinein zu denken und zu fühlen, ist eine Voraussetzung für gelungene Kommunikation. Darüber kann keine Uneinigkeit herrschen. (Wenn auch vielleicht über „gelungene Kommunikation“ Uneinigkeit herrschen könnte, aber dies ist ein anderes Thema.) Moderne Führung ist angewiesen auf gelingende Kommunikation, somit ist Empathie eine wichtige Führungskompetenz. Abgrenzungsfähigkeit, analytischer Verstand, moralisches Fundament, Intelligenz, Konfliktfähigkeit, Selbstwertgefühl, Durchsetzungsstärke, Gelassenheit sind auch wichtige Kompetenzen und Eigenschaften einer Führungskraft. Wenn man dies alles zusammen nimmt und wahrscheinlich noch einiges mehr hinzufügt hat man eine gute bis sehr gute Führungskraft.

Es gibt gute Gründe, warum aus diesem Strauß erwünschter Führungseigenschaften aktuell gerade die Empathie so gehypt wird (und weshalb man sich gerade auch von der viel gelesenen Wirtschaftswoche eine fundiertere Begleitung des Themas wünscht): Die Fähigkeit und Bereitschaft,  die Denk- und Gefühlswelt, den kulturellen Hintergrund eines anderen zu verstehen und zu erfühlen, ist so etwas wie der gemeinsame Nenner, die Grundvoraussetzung, aller beziehungsgestaltenden Faktoren im Zusammenleben und –arbeiten von Menschen. Und viele Führungskräfte haben – so die Erfahrung z. B.  in unseren Seminaren – noch nicht den Zugang oder den Schlüssel zum guten Umgang mit ihrem eigenen Einfühlungsvermögen gefunden. Es wird ja auch in Bachelor- und Masters-Studiengängen schlicht nicht gelernt und nicht geübt. (Warum eigentlich?)

Ach ja: Und wenn in diesem Zusammenhang einmal mehr das angeblich genetisch bedingte, ausgeprägtere Einfühlungsvermögen von Frauen als deren Wettbewerbs- und Karrierenachteil angeführt wird, dann steht einem das bis zum Hals. Und man mag rufen: Ja, dann muss sich halt „die Wirtschaft“ ändern, verdammt noch mal!

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Dr. Carsten Schäper
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