#2 Zum Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Effizienz
In unserem zweiten Interview unserer Expert:innenreihe, spricht unsere Kollegin Jasmine Harde über Persönlichkeitsentwicklung und deren Effizienz.
Ist Persönlichkeitsentwicklung bei Führungskräften für das entsendende / finanzierende Unternehmen nicht auch gefährlich?
Nö, wieso?
Naja, die Führungskraft entwickelt sich ja im besten Fall. Wohin und wie genau, ist für das Unternehmen nicht vorhersehbar, es ist auch nicht steuerbar. Die Führungskraft könnte Neuentscheidungen treffen, die nicht erwünscht sind.
Das stimmt natürlich. Und es kommt – selten – tatsächlich vor, dass Teilnehmende nach einem solchen Seminar das Unternehmen verlassen oder ihre Rolle verändern. Die finden dann einen besseren Platz für sich. Aber um wieviel höher ist der Aufwand, den die nachweislich vielen innerlich Gekündigten in Unternehmen verursachen? Nein, Persönlichkeitsentwicklung ist nicht gefährlich, sie ist hocheffizient im Sinne der Unternehmen.
Warum ist sie hocheffizient?
Weil sie nachhaltig ist. Effizienz ist ja eine Input-Output-Relation. Oft schraubt man am Input, macht Trainings immer kürzer, kratzt höchstens an der Oberfläche der Teilnehmenden und behauptet dann das sei effizient. Dann könnte man der Führungskraft besser ein gutes Buch über Führung schenken. Wenn der Output gering ist, eine Wirkung nicht eintritt oder sofort wieder verpufft, geht die Effizienz doch gegen null. Unsere persönlichkeitsorientierten offenen Seminare dauern mit gutem Grund 4-5 Tage. Die Teilnehmenden verändern ihre Haltung nachhaltig und treffen wesentliche Neuentscheidungen.
Ach komm, das müsste doch kürzer gehen!
Wir arbeiten in diesen Tagen an sehr persönlichen Themen. Damit dies gut funktioniert, brauchen wir einen vertrauensvollen Rahmen und psychologische Sicherheit in der Gruppe und zu mir. Diese baut sich innerhalb der ersten Tage schrittweise auf. Das kann man nicht beliebig beschleunigen. Oder würdest du fremden Menschen am ersten Tag sehr persönliche Fragen und Erlebnisse preisgeben?
Vielleicht etwas naiv gefragt: Inwiefern nützt Persönlichkeitsentwicklung der Führungskraft? Kann das nicht auch belastend sein? Immerhin lernen Teilnehmende sich wirklich besser kennen, im Zweifel auch in ihren Schattenseiten, sie werden gewissermaßen aus dem Paradies der Unwissenheit vertrieben.
Ja, sie werden wahrhaftiger, besonders auch sich selbst gegenüber. Das ist für mich sehr zentral. Wir alle tragen in sozialen Situationen Masken, haben eine Fassade, die manchmal unsere Natur geworden ist. Und wir wundern uns dann, dass man uns nicht vertraut, dass unsere Beziehungen und unsere Führungsleistungen schlechter sind, als sie sein könnten und dass wir gewissermaßen ein Leben neben unserer Spur führen. Oder wir performen perfekt nach außen, fühlen uns aber nicht wohl in unserer eigenen Haut. Persönlichkeitsentwicklung bedeutet auch, wahrhaftiger zu werden.
Erfüllt die Maske nicht auch eine wichtige Funktion?
Natürlich, wo kämen wir hin, wenn wir immer und überall wie ein offenes Buch vor anderen dalägen!? Problematisch wird es dann, wenn wir die Maske nicht kennen und vor allem, wenn wir keine Kontrolle über sie haben, sondern die Maske uns kontrolliert … und unsere Wirkung im Innen und Außen.
Was treibt Dich an?
Wenn Du mich schon so fragst … Die Endlichkeit des Lebens! Für mich stimmt der Satz sehr: Unser Leben beginnt, wenn wir merken, dass wir nur eines haben. Und ich möchte, dass wir uns dessen bewusst sind und unsere wichtigen Entscheidungen und unser Verhalten daran orientieren. Dann sind wir auch kraftvoll. Je klarer wir sind, desto mehr sind wir auch jemand, dem sich andere anvertrauen. Darum geht es, wenn wir Menschen führen wollen. So denke ich.
Wann spürst Du Deine Grenzen im Seminar (wenn überhaupt)? Was findest Du schwierig und bringt Dich ins Schwitzen?
Manche Teilnehmende werden ins Seminar geschickt, haben keine Ahnung, warum sie dort sind, können nicht andocken, verteidigen ihre Maske, obwohl ich sehr viel dafür tue sie ins Boot zu holen. Wenn sie dann am zweiten oder dritten Tag immer noch eine PowerPoint-Präsentation von mir erwarten, mache ich mir Sorgen. Und zwar weniger um sie, sondern um die anderen Teilnehmenden. Weil die – wenn so jemand im Raum ist – noch mehr Energie aufwenden müssen, um sich zu öffnen und zu arbeiten.
Gibt es Fortschritt? Kommen Unternehmen voran, werden Unternehmenskulturen besser, weil reifere / rundere Persönlichkeiten in ihnen wirken?
Teilweise. Manchmal bin ich ernüchtert, wenn ich sehe, dass in manchen Konzernen seit vielen Jahrzehnten kompetente, humorvolle, liebevolle Kolleg:innen in Zusammenarbeit mit versierten HRler:innen gute Arbeit machen und sich dennoch Veränderungen nur sehr langsam einstellen. Selbstreflexion und kritisch-wertschätzende Rückmeldungen über die eigene Wirkung sollte es - finde ich - schon in der Schule geben.
Kommt eine „bessere“ Generation nach?
Ja, ich sehe das an meiner 30jährigen Tochter, die wirklich versucht, in ihrem Start-up etwas anders zu machen. Aber diese Generation hat ihre Bewährungsprobe noch nicht bestanden, sie führt noch keine größeren Systeme. Sie muss ihr Verhältnis zu und ihren Umgang mit Macht klären, auf ihre Weise. Macht kann man immer missbrauchen oder man kann sie positiv verwenden.
Apropos Töchter (Du hast zwei und einen Sohn): Was haben sie gemeinsam, vielleicht auch mit Dir? Was zeichnet die weibliche Linie der Familie Harde aus?
Sehr viel Kraft! Wir sind alle belastbar. Und wir kämpfen für das, was uns wichtig ist. Die Schattenseite ist, dass wir dazu neigen, uns zu überfordern und das nicht rechtzeitig bemerken. Mein Sohn kennt seine Grenzen besser. Mit ihm verbindet mich, dass er für das, was er gut findet, konsequent und offen einsteht.