Persönlichkeit und Werte im Mittleren Management
Ein Gespräch mit Dr. Carsten Schäper von Janus.
(Veröffentlicht in Walter, Anna Dorothea, Mittleres Management – Schlüssel zum Unternehmenserfolg, Wiesbaden 2016, Seite 144-146)
Braucht ein Führungsteam auf mittlerer Ebene echte „Persönlichkeiten“?- Wenn ja: Welche?
Jedes Führungsteam hat Persönlichkeiten, das ist unvermeidlich bzw. das ist so per definitionem. Es ist ja einer der Zwecke der vielen Persönlichkeitstypologien, die auf dem Markt sind: Zu verdeutlichen, dass wir alle – mehr oder weniger ausgeprägte – Persönlichkeitsmerkmale haben. Dass wir zwar sehr unterschiedlich sind, aber dennoch typisierbar und damit in gewisser Weise vorhersagbar.
Wenn wir von „echten Persönlichkeiten“ sprechen, dann verstehen wahrscheinlich nicht alle das Gleiche darunter. Der Begriff unterliegt zudem einem Bedeutungswandel in der Zeit: Früher waren Persönlichkeiten eher männlich, durchsetzungsstark, hatten alles im Griff und eine große Gefolgschaft. In der Führungslehre hing man recht lang der sogenannten „great man theorie“ an: Einer wird’s richten, das Ruder herumreißen, zeigen, wo‘s lang geht, … Heute gibt es diese Haltung immer noch, viele heroisierende Geschichten (und ihr Pendant, die verdammenden Geschichten) in der Wirtschaftspresse suggerieren, das es letztlich von Einzelnen abhängt … Das scheint den Menschen zu gefallen, es gibt vielleicht sogar eine Sehnsucht danach, weil es die Dinge vereinfacht (und die Verantwortungsfrage eindeutig klärt). Ein solches Verständnis und ein solches Suchen nach Helden erscheint dennoch heute obsolet.
Wir müssen uns klar sein, dass wir normativ unterwegs sind, wenn wir sagen: Ja, ein Team profitiert von echten Persönlichkeiten. Von Frauen und Männern, die sich ihrer selbst bewusst sind, die sich erlauben, von Normen abzuweichen, die für ihre Werte Verantwortung übernehmen und gleichzeitig andere auf Augenhöhe respektieren. Die ihre Grenzen kennen und sie permanent weiter stecken wollen, indem sie lernen und sich weiter entwickeln. Die berührbar und manchmal unsicher sind und dennoch recht fest stehen, wo sie stehen. Ich glaube tatsächlich, dass in diesem Sinne „echte“ Persönlichkeiten (man könnte vielleicht besser sagen: „reife Persönlichkeiten“), der komplexen, komplizierten, globalisierten Unternehmenswelt besser gerecht werden, als Helden. Weil sie Vielfalt repräsentieren und ermöglichen und aus der Vielfalt größere Anpassungsfähigkeit und Flexibilität resultiert.
Derartige Führungspersönlichkeiten respektieren und akzeptieren allerdings auf Dauer nur ähnlich reife Persönlichkeiten über sich. Und sie vertreten ihre Werte. Dies bedeutet: Konflikt ist unvermeidlich und der Umgang mit Konflikt eine Schlüsselkompetenz in Unternehmen, die auf Persönlichkeiten setzen.
Was tun, wenn die persönlichen und die Unternehmenswerte nicht zusammenpassen?
Ich glaube, dass diese Frage in manchen Fällen einfach zu beantworten ist: Man sollte sich einem anderen Unternehmen anschließen. Wenn Aufrichtigkeit ein wichtiger Wert für mich ist und ich an vielen Stellen im Unternehmen, vor allem in der Führungsetage auf Unaufrichtigkeit, Manipulation, hidden agendas stoße, werde ich unglücklich. Das ist es nicht wert. Das gilt für andere Grundüberzeugungen und Werte ebenso: Partnerschaftlichkeit, Lebensfreundlichkeit, Respekt, Verlässlichkeit, Fairness, auch Nachhaltigkeit, ökologisches Denken+Handeln und Ähnliches.
Entscheidend sind dabei nicht die aufgeschriebenen Unternehmenswerte, denn Papier ist geduldig. Entscheidend sind die von oben geprägten und gelebten Werte. Und da wird es kompliziert. Denn nicht immer ist die Lage eindeutig. Manche im Unternehmen verhalten sich so, manche anderes. Es gibt Inseln von Aufrichtigkeit in einem Meer von Unaufrichtigkeit. Es gibt ein spürbares Ringen um Werte im Vorstand, unterschiedliche Fraktionen. Es gibt – wenn auch manchmal nur zarte – Pflänzchen von Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit. Eine reife Persönlichkeit im mittleren Management weiß, dass sie Teil einer Unternehmens- und Wertedynamik ist und wird nach Wegen suchen, diese Dynamik im Sinne eigener Werte zu beeinflussen. Und das Unternehmen verlassen, wenn der persönliche Aufwand dafür nicht mehr gerechtfertigt und/oder erfolglos erscheint.
Welche Chancen und Grenzen bietet (Persönlichkeits-)Coaching im beruflichen Kontext?
Coaching sollte immer (auch) Persönlichkeitscoaching sein. Und dabei geht es dann nicht darum, ein anderer zu werden, sondern die Kenntnis seiner selbst zu verbessern, seine Haltung (Werte) zu stärken und das eigene Verhaltensspektrum zu erweitern. Als Coach bin ich (natürlich) davon überzeugt, dass wir uns – bis ins hohe Alter – in diesem Sinne (Selbst-Bewusstheit, Haltung, Verhaltensspektrum) weiter entwickeln können. Es kommt dabei darauf an, Entwicklungsziele mit persönlicher emotionaler Bedeutung aufzuladen. In vielen Fällen geschieht das in persönlichen oder beruflichen Krisen und solche Krisen stehen deshalb sehr oft am Beginn einer (Weiter-)Entwicklung. Die Chancen sind groß, Risiken für den Einzelnen kenne ich nicht, die Grenzen sind individuell gesetzt (und im Coaching-Prozess zu hinterfragen).
Unternehmen, die Persönlichkeits-Coachings für ihre Führungskräfte finanzieren, tragen ein echtes Risiko: Wenn alles gut geht, erhalten sie gestärkte Persönlichkeiten zurück. Mit allen Konsequenzen.