Dialogkompetenz Visuals (7)

Zuhören ist wie Reden - nur krasser.

Oktober letzten Jahres, es ist Tag zwei der Fortbildung in Dynamic Facilitation. Wir machen eine Übung, die aus heutiger Sicht richtungsweisend war für unser diesjähriges Fokusthema Dialogkompetenz: Wir gehen zu zweit zusammen, jede:r darf zehn Minuten am Stück sprechen – ohne unterbrochen zu werden. Mein Gegenüber soll einfach nur zuhören. Keine Rückfragen, keine Kommentare, kein bestätigendes Nicken. Nur Präsenz.

Was anfangs echt ungewohnt war – ohne Rückmeldung zu sprechen, erzeugte erst einmal Unsicherheit – wurde schnell zu etwas anderem: Ruhe. Ich begann, freier zu reden. Gedanken wurden klarer, befeuerten sich gegenseitig, neue Aspekte tauchten auf, verschwanden wieder und durften sich frei bewegen. Es ging nicht darum, etwas besonders Kluges zu sagen – sondern einfach darum, Raum zu haben. Oder – auf der anderen Seite – Raum zu geben.

Raum zu haben – oder zu geben – ist eine Grundvoraussetzung für Dialog. Zuhören ist sozusagen die Königsdisziplin des Raum-Gebens. Oder eben: Zuhören ist wie Reden, nur krasser, wirksamer.  Und dennoch müssen wir (leicht provokativ) die These aufstellen: Zuhören ist das, was alle meinen zu können, aber die wenigsten wirklich tun (geschweige denn können). Prüf’ gerne selbst: Wann wurde dir das letzte Mal so richtig zugehört?

Formulieren wir die Frage um und denken darüber nach, wann uns das letzte Mal überhaupt nicht zugehört wurde und was das mit uns gemacht hat, lassen sich die psychologischen Abläufe und Konsequenzen sehr deutlich und spürbar darstellen: Wenn uns nicht zugehört wird, passiert mehr als nur ein Kommunikationsfehler. Es entsteht eine erste, kleine Irritation im Kontakt, ein Mikro-Bruch. Wir spüren: Mein Gegenüber ist zwar körperlich anwesend – aber innerlich woanders. Das kann schnell Kränkung auslösen. Wir fühlen uns übergangen, nicht gesehen, vielleicht sogar nicht wichtig. Manche Menschen machen dann zu, werden ruhig, winken ab, geben auf. Andere kämpfen um Aufmerksamkeit, werden lauter, sprechen schneller, möchten dominieren. In beiden Fällen: Der Raum für echtes Miteinander ist verloren, es geht steil nach oben auf der Treppe des Missverstehens, an deren Ende wir vor allem eines sind: enttäuscht.

Und was passiert, wenn uns wirklich zugehört wird?

Dann entsteht fast so etwas wie ein feiner innerer Gleichklang. Wir fühlen uns gesehen – nicht nur gehört. Neurobiologisch betrachtet ist Zuhören ein Signal von Sicherheit – es beruhigt, reguliert und ermöglicht Zugang zu klarem Denken. Unsere Gedanken sortieren sich, weil sie Raum bekommen. Wir merken: Ich darf hier sein, mit dem, was ich denke, frage, vielleicht auch noch nicht sagen kann. Ich kann vertrauen. Vertrauen wächst jedoch nicht durch Übereinstimmung, sondern durch Präsenz - auch das müssen wir alle erst einmal lernen. Zuhören heißt nicht Zustimmen – aber für tiefe, ehrliche Zustimmung braucht es in erster Linie gutes Zuhören.

Wann habt ihr das letzte Mal das Gefühl gehabt, wirklich gehört worden zu sein – ohne Eile, ohne Bewertung, ohne „Ja, aber…“? Was hat das mit euch gemacht? Und wie hat es vielleicht das Gespräch verändert?

Wie Zuhören unsere Arbeitsbeziehungen prägt

Zuhören ist in jeder Arbeitsbeziehung mehr als nur eine kommunikative Geste – es ist eine Form von Wirksamkeit. Man könnte sogar behaupten, es sei die Königsdisziplin der Wirksamkeit:

  • In der Führung entsteht durch echtes Zuhören psychologische Sicherheit. Mitarbeitende spüren, dass ihre Perspektive zählt – das stärkt Eigenverantwortung, Engagement und Vertrauen. Die Forschung zeigt zudem: Psychologische Sicherheit – also das Gefühl, ohne Angst vor negativen Konsequenzen sprechen zu können – ist eine Grundvoraussetzung für gesunde und leistungsfähige Zusammenarbeit. Sie fördert Lernverhalten, Offenheit und Innovationskraft im Team (Amy Edmondson, 2018).
  • Im Coaching öffnet Zuhören einen Raum, in dem neue Gedanken entstehen können. Der:die Coachee denkt nicht nur mehr, sondern oft auch weiter. Nancy Kline beschreibt das sehr treffend in ihrem Konzept des Thinking Environment: Menschen denken am besten, wenn ihnen wirklich zugehört wird. Zuhören wird damit nicht zur Vorbereitung auf die nächste Reaktion, sondern zur Ermöglichung von Denken: „The quality of your attention determines the quality of other people’s thinking.“ – Nancy Kline, Time to Think (1999)
  • In der Zusammenarbeit unter Kolleg:innen führt Zuhören dazu, dass nicht nur Positionen, sondern auch Beweggründe verstanden werden. Das macht Abstimmungen klarer, Entscheidungen besser – und Konflikte seltener persönlich. Kennt jede:r, oder?
  • In Veränderungsprozessen kann Zuhören der erste Schritt sein, um Widerstände ernst zu nehmen, Ängste zu erkennen und daraus tragfähige Lösungen zu entwickeln. Denn Veränderungsbereitschaft („Readiness to Change“) entsteht nicht durch Anweisungen oder Appelle, sondern durch Beteiligung, emotionale Anschlussfähigkeit – und das Gefühl, gehört und verstanden zu werden. Studien zeigen, dass Mitarbeitende eher bereit sind, sich auf Veränderungen einzulassen, wenn ihre Sorgen ernst genommen und ihre Sichtweisen in die Gestaltung des Wandels einbezogen werden (z. B. Holt et al., 2007). Zuhören ist damit kein Nebenschauplatz, sondern ein strategisches Werkzeug im Veränderungsprozess.

Wir sehen: Zuhören ist kein Luxus – es ist ein unterschätzter Hebel für Kultur, Klarheit und Kooperation. Zuhören ist kein Selbstzweck. Es ist eine Einladung – zur Verbindung, zur Klarheit, zum gemeinsamen Denken. In Zeiten von Beschleunigung, Umbruch und zunehmender Komplexität ist Zuhören auf den ersten Blick vielleicht keine spektakuläre Fähigkeit – aber eine, die einen enormen Unterschied macht.

Vielleicht beginnt Dialog genau dort: Wo wir aufhören, sofort zu antworten – und anfangen, wirklich hinzuhören.

 

Literaturhinweise:

  • Edmondson, A. C. (2018). The Fearless Organization: Creating Psychological Safety in the Workplace for Learning, Innovation, and Growth. Wiley.
  • Holt, D. T., Armenakis, A. A., Feild, H. S., & Harris, S. G. (2007). Readiness for organizational change: The systematic development of a scale. Journal of Applied Behavioral Science, 43(2), 232–255.
  • Kline, N. (1999). Time to Think: Listening to Ignite the Human Mind. Cassell Illustrated.

 

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