26.06.2014

Narzissmus (2): Die Narzissten von morgen

Kinder brauchen liebevolle Bestätigung, Anerkennung und die Achtung ihrer Bedürfnisse (Erwachsene übrigens auch!). Sie passen ihr Selbstwertgefühl den Botschaften ihrer Bezugspersonen an – und verinnerlichen auf Dauer deren Rückmeldungen. Wer es gut mit seinen Sprösslingen meint, schenkt dem Nachwuchs deshalb angemessene Bestätigung und fördert damit die Entwicklung eines positiven und stabilen Selbstwertgefühls.

Genau hier ist bei ausgeprägten Narzissten irgendetwas schief gegangen: Ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeit wurde – warum auch immer – als Kind mit seinen Bedürfnissen von seinen Eltern nicht wichtig genommen. Sie wurden nicht adäquat befriedigt, oft gar nicht erst erkannt.

Wie genau kann diese Schräglage entstehen? Dauerhafte Missachtung, Entwertung und Arroganz des Gegenübers führen bei einem Kind zu einem beeinträchtigten Selbstwertgefühl (übrigens auch bei Erwachsenen!). Das liegt auf der Hand und wird niemand ernsthaft bestreiten.  Wird ein Kind beispielsweise nur wahrgenommen, wenn es gute Leistungen erbringt oder wenn es besser als die anderen ist, wird es sich künftig bemühen, seine Eltern mit herausragenden Leistungen zu erfreuen. Wird es für jede Leistung überschwänglich gelobt und erlebt keine differenzierte Rückmeldung zum eigenen Tun, wird es kritische Rückmeldungen in anderen Umfeldern mit großer Wahrscheinlichkeit als bedrohlich erleben. Es versucht, zu gefallen und zu glänzen, um jene Zuwendung seines Umfeldes zu bekommen, die ihm als Menschenkind zusteht. Seine Erfahrung: „Ich bin nur etwas  wert, wenn ich bedingungslos positiv und reichlich gelobt werde“. Die innere Sicherheit und das eigene Selbstwertgefühl sind an diese Botschaft gekoppelt.

Beschrieben wird ein weiterer möglicher Auslöser: Häufig nehmen Eltern von narzisstischen Persönlichkeiten ihre Kinder lediglich als Teil ihrer selbst wahr: Es musste früh lernen, dass es nur es selbst sein darf, wenn es sich nach dem Bild der Eltern zeigt – wenn es sich aber so zeigt, wie es sich fühlt, ist es eben gerade nicht es selbst. Das Kind als Wesen ohne Recht auf Individualität und Autonomie bleibt ungeübt im Artikulieren eigener Bedürfnisse und erlebt Wertschätzung im Akt maximaler Anpassung an das (Wunsch-)Bild der Eltern.

Um dieser in der Kindheit erlebten, grundlegenden Verletzung des Selbstwertgefühls zu entgehen, entwickeln die Betroffenen Phantasien von ihrer eigenen Größe, von Unabhängigkeit und der Unwichtigkeit anderer. Das Kind kompensiert diese grundlegenden negativen Botschaften durch den Aufbau eines Größenselbst. Und forciert damit eine gefährliche Vermischung von „wie bin ich“ mit „wie wäre ich gerne“.

Langandauernde mangelnde Anerkennung und Missachtung führen zu kompensatorischen Anstrengungen, die sich im Erwachsenenalter in folgenden Verhaltensänderungen zeigen:

 
Übrigens: Starke Verwöhnung oder die Abschirmung eines Kindes vor dem Übel dieser Welt beeinträchtigen ebenfalls die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls. Als Resultat neigt das Kind dazu, sich zu überschätzen – andere Personen, die dies in Frage stellen, werden als traumatisierend und bedrohlich wahrgenommen.

Den Eltern kommt beim Entstehen einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur eine zentrale Verantwortung zu. Darf ein Kind nicht Mensch sein für sich, kann es kein eigenes Selbst, keine eigene Identität entwickeln. Die Folgen: Selbstunsicherheit, Minderwertigkeitsgefühle und tiefgreifende Selbstzweifel – die seine späteren Mitmenschen in Leben wie Beruf ordentlich auf Trab halten.

zusätzliche Quellen:
Ohrfeige für die Seele, B. Wardetzki, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag.
Die Neurosen der Chefs, J. Hesse und H.C. Schrader, Piper Verlag.
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Martina Goldhorn
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