01.05.2011

Meisterhaft führen

In einer speziellen Qualifizierung erweitern die Industriemeister der Merck KGaA ihre berufliche Handlungskompetenz und entwickeln ihr Rollenverständnis als Führungskräfte.

201105 illu meisterhaft fuehren2Das Arbeitsumfeld in der Produktion wandelt sich: Immer schneller und häufiger verändern sich Strukturen, Schnittstellen und Zuordnungen. Der Industriemeister wird damit zur zentralen Führungskraft in der Produktion. War er früher der erfahrene Mann fürs Operative, der per Anweisung dafür sorgte, dass der Laden läuft, ist seine Agenda heutzutage vielfältig: Manager vor Ort, Führungskraft eines Teams und Moderator einer Vielzahl von Prozessen. Das operative Geschäft rückt in den Hintergrund.

„Die Anforderungen an Industriemeister sind nur mit einem stärkeren Selbstverständnis als Führungskraft, einer strukturierten Delegation von Aufgaben und der Betrachtung der Mitarbeiter als Team zu schaffen“, sagt Christian Vordemfelde, Janus Gesellschafter und dort zuständig für das Qualifizierungsprojekt bei Merck. Gemeinsam mit der Weiterbildungsabteilung des hessischen Pharma- und Chemieunternehmens hat er ein Programm aufgesetzt, das in insgesamt sieben Modulen alle wesentlichen Themen erfolgreicher Führungsarbeit umfasst. Das mehrstufige Curriculum aus Seminarblöcken von zwei bis drei Tagen wird in halbjährlichen Intervallen innerhalb von drei Jahren durchlaufen.

„Wir Meister sind mittlerweile ein echter Brainpool zwischen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und verfahrenstechnischer Umsetzung“, erklärt Harald Müssig, seit über 20 Jahren Meister in verschiedenen Produktionsbereichen bei Merck: „Vor allem aber sind wir Ressourcenmanager – für uns, unsere Mitarbeiter und den Betrieb“. Doch für eine gute Delegation brauche es geeignete Delegationspartner, so seine Erkenntnis. „Statt Anweisungen auf Tagesbasis zu geben, müssen Meister ihre Mitarbeiter aktiv entwickeln, damit diese ihre Leistungsfähigkeit voll entfalten können“, bestätigt Dr. Andreas Pies, Vice President in der Pharmaproduktion der Merck KGaA in Darmstadt. Die Meister müssten ihre eigenen Führungskräfte wie beispielsweise Vorarbeiter oder Schichtführer so fördern, dass auch diese ihre Führungsaufgabe adäquat ausfüllen können.

Kollegiale Beratung

Im Idealfall findet die Meisterqualifizierung in festen Gruppen quer durch das gesamte Unternehmen an den Standorten Darmstadt und Gernsheim statt. „Durch die stabile Gruppe fördern wir die Netzwerkbildung innerhalb des Unternehmens und initiieren eine eigenständige kollegiale Beratung“, erklärt Florian Reiher, Industriemeister Chemie (IHK) und als Weiterbildungsmanager im Personalbereich bei Merck zuständig für fachliche und überfachliche Trainings für die Produktion. Die hohe Akzeptanz des Programms schreibt er der großen Praxisrelevanz der Inhalte zu – und der persönlichen Berufserfahrung und Griffigkeit der eingesetzten Janus-Trainer. Die Agenda umfasst die Schwerpunkte Führung, Konfliktmanagement, Teamprozesse, Prioritätenmanagement, Qualität und Mitarbeiterentwicklung.

Anschließende Treffen sichern den Transfer von der Theorie in die Praxis. „Wir steigen im ersten Modul mit dem Insights®-Modell ein. Dabei fühlen sich die meisten Teilnehmer in ihrem Wesen erkannt und wir gewinnen einen Vertrauensvorschuss“, berichtet Janus-Trainer Vordemfelde. Skepsis gegenüber psychologischen Ansätzen in der Persönlichkeitsentwicklung würden so in der Regel schnell beiseite gelegt. „Die Zusammenstellung der Module ist vielseitig und deckt praxisnah alle wichtigen Bereiche ab, zudem lässt jedes Modul Raum für aktuelle Fragestellungen und den Austausch darüber, wie andere an solche Dinge herangehen“, lobt Marcus Behl, seit 2005 Industriemeister und seit drei Jahren tätig bei Merck.

201105 gruppenuebung seil zugeschnittenDie meisten Mitarbeiter in Meisteroder Koordinatoren-Funktion des hessischen Unternehmens haben die Qualifizierung mittlerweile durchlaufen – die Weiterbildung genießt bei ihrer Zielgruppe hohes Ansehen. „Früher haben wir im Führungskreis manchmal klären müssen, über was wir eigentlich reden – heute haben wir ein gemeinsames Verständnis von Führungsthemen und sprechen die gleiche Sprache, das ist angenehm, denn es macht vieles einfacher“, berichtet Dr. Christine Persch, Betriebsabteilungsleiterin Chemie in Gernsheim und Vorgesetzte von drei Absolventen der Qualifizierung. Manche Themen seien mittlerweile leichter anzugehen, insgesamt habe sich das allgemeine Miteinander positiv entwickelt, so ihre Beobachtung. „Das Selbstverständnis ‚Ich bin Führungskraft’ ist durch die Weiterbildung deutlich gewachsen“, stellt die Chemikerin zufrieden fest. Mit der Meisterqualifizierung habe im Werk eine neue Methodik bei der Führung Einzug gehalten.

Nach intensiver Schulung zum Auftakt des Programms startet heute durchschnittlich eine Qualifikationsgruppe pro Jahr. Bei einem Teilnehmeralter von etwa 30 bis 50 Jahren bestehen diese Gruppen aus Neueinsteigern auf Meister-Stellen in Produktion und Technik.

Neue Ideen

Doch auch alte Hasen können aus den Modulen viel mitnehmen: „In der Meisterqualifizierung habe ich mein Selbstbild gefestigt und fühle mich in meiner Führungsaufgabe sicherer, gerade in Konfliktsituationen“, erzählt Industriemeister Hubert Reichel. Seine Erfahrungen aus dem Modul zu Teambildung habe er gut und wirkungsvoll auf die eigene Mannschaft übertragen können.

Die kontinuierliche Weiterentwicklung des Programms aufgrund sich verändernder Rahmenbedingungen läuft pragmatisch: Auftretende Veränderungsimpulse oder neue Themengebiete werden von der Weiterbildungsabteilung gesammelt und gesichtet. In Zusammenarbeit mit den Trainern überprüfen die Verantwortlichen, wie bestehende Inhalte angepasst oder zusätzliche Bausteine eingeführt werden.

Mögliche Veränderungen des Curriculums stellen die Verantwortlichen dann ausgewählten Teilnehmern vorab in einer Pilot-Veranstaltung auf Meisterebene vor. Kommen Inhalte und Formate an und werden als nützlich oder hilfreich eingeschätzt, werden sie in die Module integriert.
„Die Führungsspanne eines Industriemeisters bei Merck ist erheblich, sie umfasst teilweise bis zu 50 Mitarbeiter“, weiß Janus-Trainer Christian Vordemfelde um die außerordentliche Herausforderung, der sich viele Meister in der Führung zu stellen haben. Oft seien gerade junge Meister bereits früh am vermeintlichen Ende ihrer Karriereleiter angekommen.

Auch an dieser Stelle stiftet das Programm Mehrwert: Es ermöglicht seinen Teilnehmern selbst ohne formale Perspektive eine aktive berufliche Weiterentwicklung. Vor allem aber liefert es hilfreiche Ansätze, wie die Beteiligten ihre häufig als schwierig empfundene Rolle „zwischen den Stühlen“, also als Vorgesetzter und alter Kumpel oder Kollege gut meistern können.

"Qualifizierung für Meister und Schichtführer bewusst trennen"

Die Merck KGaA in Darmstadt schenkt der Qualifizierung im gewerblichen Bereich besondere Aufmerksamkeit. Ein Gespräch mit Florian Reiher, Weiterbildungsmanager im Personalbereich und zuständig für die Weiterbildung der Industriemeister im Unternehmen.

Wie kam die Idee auf, ein eigenes Programm für die Meisterqualifizierung aufzulegen?

Vor fast zehn Jahren haben wir alle Zielgruppen für Weiterbildung im Produktionsumfeld in einer Matrix erfasst. Dabei wurde aufgenommen, welche Kompetenzen gebraucht werden und wo Entwicklungsbedarf besteht. Bei der Auswertung war schnell klar, dass die Sprache und die Themen von Meistern und Schichtführern zwar ähnlich sind, der Zugang zu den relevanten Themen jedoch sehr verschieden ist.

Auf welchem Weg ist das heutige Angebot dann entstanden?

Wir haben in einer kleinen Arbeitsgruppe eine Bedarfsanalyse und ein Anforderungsprofil, also quasi ein Lastenheft für die Aufgabe, erstellt. Es war uns wichtig, dass das Curriculum mehrstufig ist und dass die Gruppen nach Möglichkeit zusammen bleiben. Nach einer ersten Vorauswahl und einem Probetraining, haben wir uns für Janus entschieden – sie waren auch bei den Meistern der Favorit.

Welche Rolle spielt die Meisterqualifizierung mittlerweile in Ihrem Unternehmen?

Zu Beginn haben die Vorgesetzten viele Teilnehmer eher punktuell entsendet, heute gibt es einen breiten Konsens in der Zielgruppe, dass es sinnvoll ist teilzunehmen und dass die Inhalte für die tägliche Führungsaufgabe wirklich hilfreich sind. Die Akzeptanz bei den Meistern, aber auch bei deren Mitarbeitern und Vorgesetzten ist sehr gut.

Sie sprechen von veränderten Anforderungen an Industriemeister. Was meinen Sie genau?

Die Mitarbeiterkommunikation hat sich verändert, mittlerweile ist Gesprächsführung ein zentraler Bestandteil des Führungsalltags. Mitarbeitergespräche, Zulagengespräche,Konfliktgespräche, Schichtübergaben – die Mitarbeiter sind heute bezüglich des Austauschs mit ihren Vorgesetzten anspruchsvoller. Dazu kommt, dass der vollkontinuierliche Schichtbetrieb bei uns gang und gäbe ist. Damit verändern sich Informationsflüsse, die Weitergabe von Sachverhalten oder die Delegation von Aufgaben muss neu geregelt werden. Insgesamt ist der Kontakt mit den Mitarbeitern heute schwieriger zu halten als früher. Verschärft wird dies durch die steigenden Betriebsgrößen.

Inwieweit haben sich auch die formalen Rahmenbedingungen der Meister verändert?

Die Themenvielfalt ist heute enorm, Arbeitssicherheit und Umweltschutz werden beispielsweise immer wichtiger. Zudem müssen Meister häufiger Querschnittsfunktionen ausfüllen. Verwaltungsaufgaben nehmen enorm zu und eine höhere Frequenz an Besprechungen bindet Ressourcen. Unsere Meister stehen heute klarer für bestimmte Bereiche oder Aufgaben in der Verantwortung – eine Rückdelegation an die Betriebsleitung ist kaum noch denkbar. Ein anderer Punkt ist die Prozessqualität: Hier haben unsere Kunden und damit auch wir heute einen höheren Anspruch – nicht zuletzt die Datenverwaltung ist umfangreicher geworden und spezielle IT- und Prozessleitsysteme müssen angewendet werden.

Das Meister-Programm bei Merck - Qualifizierung in sieben Akten
1. Modul Der Blick nach innen - "Selbst- und Fremdbild"
• Die Einzelperson schaut auf sich selbst
2. Modul Der Blick auf eigenes Verhalten im Konfliktfall - "Konflikt und Kommunikation"
• Die Einzelperson in Interaktion mit anderen
3. Modul Der Blick auf das Team - "Teamdynamik"
• Das Potenzial kollegialer Beratung heben
4. Modul Von der Theorie in die Praxis - "Planspiel Prozessoptimierung"
• Das Produktionsgeschehen simulieren
5. Modul Methoden und ihre Anwendung - "Ressourcen und Prioritäten"
• Das eigene Repertoire erkennen und erweitern
6. Modul Andere voranbringen - "Methodik und Didaktik"
• Lehr- und Lerneinheiten selbst gestalten
Wiederholungsmodul Am Ball bleiben - "Jahrestreffen in der Gruppe"
• Plattform für Themen aus den Werken und der Praxis von Teilnehmern
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Christian Vordemfelde
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christian.vordemfelde@janusteam.de