03.11.2022

#4 Psychologische Sicherheit - wer kümmert sich?

Im vierten Interview unserer diesjährigen Expert:Innenreihe spricht unsere Kollegin Sarah Stephany darüber, wer eigentlich für Psychologische Sicherheit verantwortlich ist...

Was ist das eigentlich: Psychologische Sicherheit? Wie würdest Du das definieren?

Wenn psychologische Sicherheit gegeben ist, dann ist es mir möglich, mich ganz ungefiltert einzubringen. Und zwar, ohne das Gefühl zu haben, dass ich dafür verurteilt, möglicherweise ausgegrenzt oder schief angeschaut werde. Ich muss mich nicht zensieren. Ich hab‘ die Gewissheit, dass auch nicht hinter meinem Rücken schlecht über mich geredet wird. Das umfasst auch nonverbale Rückmeldungen, wie Augenrollen, sich abwenden usw.

Warum ist das Thema – vielleicht auch persönlich - wichtig für Dich?

Ich war 15 Jahre lang in großen Unternehmen, immer im Bereich Personal- und Organisationsentwicklung. Und ich habe in dem Kontext als Begleiterin vieler Teams oft erlebt, wie es aussieht und welche Folgen es hat, wenn Menschen sich nicht psychologisch sicher fühlen. Ich konnte gut beobachten, was in Teams passiert, in denen hinter dem Rücken schlecht über Andere gesprochen wurde und Du fürchten musst, dass mit Dir das Gleiche geschieht, wenn Du nicht da bist. Und ich habe erlebt, dass Führungskräfte auch nicht immer in der Lage waren, Mitarbeitende davor zu schützen.

Welche Beispiele fallen dir ein, die ganz besonders kontraproduktiv waren?

Zum Beispiel offene Mitarbeiter-Rankings und die Aufforderung, sich gegenseitig zu bewerten, forciertes Schüren von Konkurrenz untereinander - dadurch wurde Unsicherheit eher auf die Spitze getrieben. Man scheint das in manchen Unternehmenskulturen für effizient zu halten …

Und? Kann es das nicht sein? Es muss doch einen Grund geben, warum – erfolgreiche -Organisationen so etwas machen.

Was ich weiß und was mich sehr überzeugt ist, dass man hirnphysiologisch nachweisen kann, dass ein Gefühl von Ausgeschlossen-Sein ähnliche Reaktionen hervorruft, wie körperlicher Schmerz. Sozialer Stress kommt physischem Schmerz sehr nahe. Wir machen dann dicht, wir werden eng, wir haben Angst. In einer solchen Situation ist Innovation, Kreativität, Commitment und Lernen kaum noch möglich.

Ich stimme Dir zu und das überzeugt mich auch, aber … die Frage ist damit noch nicht beantwortet! Warum erzeugen manche Organisationen mehr oder weniger bewusst psychologische Unsicherheit? Hat das damit zu tun, dass damit besonders resiliente Menschen identifiziert, quasi selektiert werden können, was wiederum der Organisation nützt? So jemanden kann man doch stärker belasten.

Da hast Du vielleicht recht. Gerade in eher konkurrenzorientierten Unternehmen ticken die Menschen vielleicht anders. Man könnte sagen, dass das Selektionsmerkmale sind. Und trotzdem sind alle Menschen soziale Wesen und haben ein Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit. Und wenn das verletzt wird, hat das einen Preis – für den Einzelnen und auch für die Organisation. Egal auf welcher Hierarchieebene und wie erfolgreich sie sind.

Ok, vielleicht bleibt da eine logische Begründungslücke :-). Wir haben ja alle bei Janus auch weltverbessernde Impulse. Wir finden eine Kultur, in der sich Menschen prinzipiell angenommen und psychologisch sicher fühlen, einfach besser. Das ist ein Werturteil.

Stimmt.

Ist psychologische Sicherheit eine (weitere) Führungsaufgabe?

Je mehr ich mich mit dem Konzept beschäftige, desto mehr frage ich mich das. Denn – das müssen wir uns klar machen – zu dem Ausmaß an Sicherheit in einem Team trägt jedes einzelne Teammitglied durch sein Tun oder Unterlassen bei. Natürlich kann man durch Strukturen und Führungsverhalten darauf einwirken, aber letztlich kommt es auf die Haltung aller im Team an, ob es gelingt.

Was kann eine Führungskraft beitragen?

In einer Google-Studie wurde zum Beispiel identifiziert, dass Führungskräfte, die sich aktiv um psychologische Sicherheit im Team bemühen, mithelfen, dass Redeanteile im Team gleichmäßig(er) verteilt sind. Sie greifen non-verbale Signale, insbesondere die abwertend-kritischen, auf und sprechen sie offensiv an, machen dadurch besprechbar, was sonst verdeckt bliebe. Sie geben mehr von sich preis, sprechen über Schwächen und Fehler, machen sich selbst angreifbar. Überhaupt: Der wertschätzend-konstruktive Umgang mit Fehlern ist entscheidend in Bezug auf psychologische Sicherheit. Genauso wie Partizipation und Transparenz bei Entscheidungsprozessen.

Sprich bitte noch etwas mehr über den Umgang mit Fehlern.

Ich glaube, jeder kann das nachvollziehen: Die Sicherheit, dass mit meinem Fehler konstruktiv-wertschätzend umgegangen wird, erhöht meine Offenheit im Umgang damit. Und das wiederum macht die Auswirkungen meines Fehlers weniger gravierend. Wenn die Krankenschwester, die damals versehentlich zwei Ampullen mit Corona-Impfstoff fallen gelassen hat, sich sicher gefühlt hätte, hätte sie eben nicht Kochsalzlösung aufziehen und spritzen müssen, um ihren Fehler zu verdecken.

Mir kommt es so vor, als ob Empfindlichkeiten überall zunehmen. Kritischer Umgang miteinander wird schwieriger, weil die Dinge schnell persönlich (aufgefasst) werden. Übertrieben ausgedrückt: Ist der Wunsch, dass ich mich mit jedem Pups, den ich mache, auch noch angenommen fühlen muss, nicht ein wenig regressiv? Und sind Unternehmen, die sich so etwas auf die Fahne schreiben, nicht überfürsorglich? Müssen wir nicht von Mitarbeitenden verlangen, dass sie auch in einem Umfeld relativer Unsicherheit handlungsfähig bleiben können? Geht es also nicht auch oder sogar viel mehr um die persönliche Reife, Konfliktfähigkeit und Widerstandskraft der Mitarbeitenden?

Was zunimmt, ist die Sensibilität für Diversität, und der Anspruch, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Das heißt aber nicht, dass man nur noch mit Samthandschuhen unterwegs sein muss. Natürlich soll nicht alles toll gefunden werden, aber Unterschiedlichkeit muss grundsätzlich akzeptiert werden. Den Umgang mit Unterschiedlichkeit erleichtert eine Fähigkeit, die so fundamental ist, dass man sie gar nicht oft genug trainieren kann: Die Fähigkeit Feedback zu geben und zu nehmen. Und die Dinge nicht sofort auf ungute Weise persönlich zu nehmen oder zu machen. Feedbackpraxis wird immer wichtiger, je wilder die Welt wird.

Die Fähigkeit Feedback zu nehmen und zu geben, zahlt ein auf psychologische Sicherheit im Team?

Ja, genau.

Wie reagieren Deine Teilnehmenden, wenn Du mit ihnen über psychologische Sicherheit sprichst?

Es ist allen recht schnell klar, dass das Thema Bedeutung hat. Gleichzeitig gibt es enormen Respekt davor. Man kann hier eben keine Checkliste erwarten, die man abhaken kann, so dass anschließend Sicherheit besteht. Es geht eben auch hier um Arbeit an Beziehungen und viele Menschen finden das schwierig.

Wenn ich als Teammitglied merke, dass meine Führungskraft sich psychologisch verunsichernd verhält: Was kann ich tun?

Im Prinzip, siehe oben: Feedback geben. Das kann anspruchsvoll werden. Zumal es so ist: Eine Führungskraft, die sich so verhält, ist oftmals selbst hochgradig verunsichert und erlebt von der eigenen Chefin oder seinen Peers abwertendes oder ausschließendes Verhalten. Das zeigt noch einmal: Wir stellen psychologische Sicherheit gemeinsam her … oder eben nicht. Und es ist nicht gut, sich nur als Opfer der Umstände zu sehen.

Wenn ich möchte, dass meine Chefin mehr dazu beiträgt, dass psychologische Sicherheit entsteht, ist es sinnvoll dafür zu sorgen, dass sie sich selbst sicherer fühlt?

Das ist schon advanced :-). 

Lass mich zum Schluss noch etwas aufgreifen, was zumindest in meinem LinkedIn-Feed immer mehr diskutiert wird:  Wir sollten – anstatt immer den Menschen in der Organisation, besonders die Führungskräfte, immer für alles verantwortlich zu machen – schlicht gesagt besser organisieren: Strukturen, Rolle, Prozesse an den Notwendigkeiten der Arbeitsabläufe und an den Bedürfnissen der Mitarbeiter ausrichten. Und nicht am Verhalten und der Haltung der Einzelnen rumdoktern, durch Coaching, Purpose-Simulationen, Identifikationsappelle … Sicherheit durch Klarheit, definierte Rollen und insgesamt bescheidenere Ansprüche auf allen Seiten, was innerhalb eines Unternehmens alles für den Menschen geleistet werden muss und von Menschen erwartet werden kann.

Ja! Klarere und konkretere Bestimmung von Rollen und Aushandeln von Rollenerwartungen unter Erwachsenen :-) wäre sehr hilfreich. Und auch, sich klarzumachen, dass Rollen temporär sein können und sollen. Und tatsächlich nicht so viel „persönlich genommen“ werden muss. Und dann landen wir doch wieder bei der Persönlichkeit und ihrer Bereitschaft zur Selbstreflektion …

Vielen Dank für das Interview, liebe Sarah!

 

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Sarah Stephany
T +49 8095 87338-0
sarah.stephany@janusteam.de