17.05.2023

Harald Kieffer über die Freude, Chef sein zu können

In losen Abständen führen wir bei einem abendlichen Apéro kurze Interviews mit Kunden zu Themen, die sie und uns bewegen. Heute spricht Julia Weiß mit Harald Kieffer, zuletzt Chefredakteur und Bereichsleiter Politik und Zeitgeschehen beim Hessischen Rundfunk (hr).

Harald Kieffer, promovierter Philosoph, langjährige Führungskraft, ehemaliger aktueller Reporter, Leiter einer Kultur- und Unterhaltungsabteilung, Chef eines Kinderprogramms, zuletzt Chefredakteur und Bereichsleiter Politik und Zeitgeschehen beim Hessischen Rundfunk (hr) hat in seiner langjährigen Führungserfahrung viel erlebt und so mit der Zeit seinen ganz eigenen Ansatz im Führen gefunden. Ihm liegt die menschliche Beziehung beim Führen sehr am Herzen. Menschlichkeit, wechselseitiges Vertrauen und Feedback sind aus seiner Sicht zentral. Für uns hat er die wichtigsten Learnings aus seiner langjährigen Führungserfahrung zusammengefasst. Julia Weiß, JANUS, im Gespräch mit Harald Kieffer: 

„An meinem ersten Tag als Chefredakteur passierte der Terroranschlag auf der Rambla in Barcelona, unsere ARD-Zuständigkeit. Alle schauten auf mich und fragten, was jetzt zu tun sei. Ich sagte, wieso soll das der entscheiden, der am wenigsten davon versteht. Das ist euer tägliches Brot als aktuelle Journalist:innen. Ich organisiere uns, höre mir an, was ihr vorhabt, und unterstütze euch vor allem nach außen. In wenigen Stunden hatten wir eine Sondersendung mit Moderation, Filmen, Korrespondent:innen und Expert:innen zusammen und als Brennpunkt gesendet. Das lag vor allem an der Kompetenz der Kolleg:innen und ich konnte nur staunend zusehen. Da wusste ich, wie man führen sollte: vor allem nicht stören.“

Was bedeutet für dich Führung?

Ich habe immer mit Überzeugungstäter:innen gearbeitet, die geliebt haben, was sie taten. Da reicht es natürlich nicht aus, nur nicht zu stören. Ich wollte dienen, dem Team und den gemeinsamen Zielen: das Team und damit jedes Teammitglied steht mit all seinen spezifischen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Ich muss für sie den geeigneten Rahmen schaffen, dass sie gemeinsam ihre Kraft auf die Straße bringen können. Zu meinen Aufgaben gehört idealerweise die Entwicklung einer Haltung und von Visionen, ich muss für Ansporn und Sicherheit sorgen, Kompetenzen klären und Ziele definieren. Zudem liegt mir fortwährend die (Weiter-)Entwicklung des Teams am Herzen.

Was macht für dich eine gute Führungskraft aus?

Jemand der gerne mit anderen arbeitet und gerne Teil eines Teams ist. Sehr oft war ich stolz auf das, was wir geleistet haben, obwohl mein Anteil eher gering war. Jemand der führt, sollte Menschen grundsätzlich positiv sehen: Sie wollen leisten, sie wollen gesehen und anerkannt werden und sind von Grund auf loyal. Der Rest ergibt sich dann von selbst. 

Worauf hast du ganz persönlich Wert gelegt? 

Dass sich alle wohl fühlen im Team und unsere Ziele zu jeder Zeit klar sind. Das bedeutet: Gespräche sind fast 80 % der Arbeit. Es geht um gegenseitiges Feedback, regelmäßige Reflexion des Alltags, und das möglichst offen. Es wird immer reiner Wein eingeschenkt. So muss niemand befürchten, dass hinter dem Rücken etwas anderes läuft. Außerdem vertraue ich erstmal jedem und jeder. Meinen Lieblings-Kultur-Grundsatz habe ich bei der BBC gefunden: „Jeder meint es immer gut.“ Wenn jemand etwas Irritierendes tut, hat das vermutlich aus seiner/ihrer Sicht einen guten Grund.

Welche Bedeutung hat Servant Leadership für dich?

Wie kann ich jemandem als Vorgesetzter Vorgaben machen, der sein:ihr eigenes Fach viel besser beherrscht als ich? Das geht nur mit Respekt, Klarheit und vor allem klaren Grenzen, die beide Seiten einhalten. Das Schlimmste ist Willkür. Ich erkenne die Kompetenz meiner Leute an und brauche meinerseits ihr Vertrauen dafür, dass ich meine Aufgaben besser erledigen kann. Das Team kann sich dadurch voll auf seine Aufgaben einlassen, denn es weiß, dass ich bei den übergreifenden Herausforderungen den Schritt vorgebe und sie gleichzeitig mit ihrem Input einbinde. 

Welche Erfahrungen hast du beim Führen von Führungskräften gemacht?

„Wieso sind Sie bei vielen im Haus so unbeliebt?“, habe ich im ersten persönlichen Gespräch einen bekannt schroffen und autoritär führenden Abteilungsleiter gefragt.  Nach einigem Rumdrucksen wurde er ehrlich und berichtete von seinen Versagensängsten und dem fehlenden Rückhalt seiner bisherigen Vorgesetzten. Auch von persönlichen Defiziten im Umgang mit Kolleg:innenen aufgrund seines aufbrausenden Wesens erzählte er mir. Wir vereinbarten, dass ich ihn in einer Veränderung seiner Rolle unterstütze, auch indem ich seine Mitarbeiter:innen auffordere, mir ihr Herz auszuschütten, worüber ich ihn dann anonymisiert informiere. In den Jahren unserer Zusammenarbeit sind wir eng zusammengerückt und haben gegenseitig große Fortschritte gemacht. Wie er waren auch die anderen von mir geführten Führungskräfte in ihrer Tätigkeit stark und leisteten in Stresssituationen sehr viel. Sie wussten, warum sie da waren, und brauchten niemanden, der ihnen erklärte, wie sie ihre Arbeit zu machen hatten. Sie benötigten vertrauenswürdige Ratgeber, eine Instanz zur Reflektion ihrer Performance, Unterstützung bei Krisen in ihren Teams, Rückendeckung bei Risiken. Das wurde fest verabredet. Häufiger Kontakt scheint mir zentral für das Führen von Führungskräften, vor allem, um mit ihnen auch ihre Position im Team und im weiteren Unternehmenskontext zu reflektieren und zu festigen. 

Der zweite zentrale Aspekt war das Leben einer grundsätzlichen Führungskultur. Ich wollte, dass auch meine Führungskräfte ihre Leute als eigenverantwortliche und kompetente Mitarbeiter:innen selbständig arbeiten ließen und deren Entscheidungen nach außen mittragen. Einige beanspruchten einen hohen Grad an Selbstbestimmung für sich, trauten diesen im Gegenzug aber ihren Mitarbeiter:innen nicht zu, gemäß dem Motto: „Ich brauche das nicht, meine Leute kämen aber ohne enge Führung nicht klar!“ Aus meiner Erfahrung ist beides falsch. Jeder Mensch braucht Feedback zu seiner Performance und Vertrauen in seine Kompetenz und die eigenständige Entscheidungsfähigkeit. Das gilt meines Erachtens nach für alle Mitarbeiter:innen, seien sie nun in der Geschäftsleitung oder Praktikant:nnen. 

Wie hast du zu deinem eigenen Führungsstil gefunden?

Die meisten meiner Chefs wollten mich auch immer ein bisschen erziehen, fast wie meine Eltern. Sie unterstellten, dass Menschen eher der Arbeit ausweichen wollten und daher etwas Druck und Kontrolle benötigten. Feste Arbeitszeiten an einem definierten Arbeitsplatz waren dabei wichtige Größen. Für sie selbst galt das natürlich nicht. 

Ich hingegen brauchte das wirklich nicht, da ich gerne arbeiten und leisten wollte und mich sehr engagiert mit den Arbeitsinhalten identifizierte, mir das aber „in Freiheit“ besser gelang. Allein die monatliche Gehaltszahlung hätte für mich die Investition vieler Stunden Lebenszeit täglich nicht legitimiert. Hierzu musste eine eigenständig entwickelte Loyalität zum Unternehmen, seinen Zielen und meinen täglichen Arbeitsinhalten entstehen. Und die konnte nur ich selbst in Eigenverantwortung entwickeln. Das, so dachte ich, müsste doch auch bei allen anderen so sein. 

Deshalb bin ich mit einem sehr partnerschaftlichen Führungsstil gegenüber ehemaligen Kolleg:innen gestartet, deren Vorgesetzter ich auf einmal war. Das hat sofort gut funktioniert. Allerdings wurden fehlende Anweisungen und die ausbleibende tägliche Abfrage der Arbeitsergebnisse von einigen als fehlende Wertschätzung und Desinteresse empfunden. Behutsamkeit in Arbeitsprozessen sahen manche gar als Führungsschwäche. Dem musste ich mich stellen. Anstelle der autoritären Führungsmethoden waren es nun häufige Mitarbeiter:innengesprächen und spontane Besuche in allen Büros, vor allem für den regelmäßigen Austausch. Meine Tür war fast immer offen. Das haben die meisten schnell geschätzt. 

Was war für dich als Führungskraft besonders herausfordernd?

Grundsätzlich war es so: Je weniger ich an den unmittelbaren Arbeitsprozessen der Teams beteiligt war, desto mehr musste ich meine Rolle verdeutlichen. Wozu bin ich nütze, wenn nicht als besserer Fachmann? Wo ist der Zusatznutzen für das Team, die Gruppe, die Zielerreichung, wenn ich in der Sache so viele Entscheidungen delegiere. Da ich tatsächlich (fast) immer für alle da war, konnte ich diesen Punkt aber deutlich klären.

Woraus hast du Kraft geschöpft?

Die Ergebnisse unserer Arbeit: bemerkenswerte und häufig gesendete Dokumentationen, erfolgreiche Fernsehfilme, gut recherchierte, unterhaltsame und heftig diskutierte aktuelle Sendungen und Lob von Konkurrenten. Auch das konstruktive und häufig positive Feedback der Kolleg:innen vor allem in kritischen Zeiten war mir sehr wichtig. Motivierend waren zudem ähnlich denkende Vorgesetzte, die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben.

Auch nicht zu vergessen: Gute Beratung. Gerade in den letzten Jahren hatte ich angesichts einiger anders geprägter Hochkaräter, die ich geführt habe, immer wieder Zweifel, ob die von mir angestrebte Arbeitskultur sich wirklich etablieren würde. Der mich eng begleitende Berater von Janus bestärkte mich jedoch immer wieder in meinem Ansatz, mahnte mich zur Geduld und führte mir die Berechtigung und Notwendigkeit der hemmenden Prozesse und der Widerstände vor Augen. So blieb ich am Ball, ohne zu verschleißen. 

Dein Rat an dich als junge Führungskraft?

Freue dich auf die Menschen und zeige dich, wie du bist. Die Arbeit mit Menschen ist das, was am meisten Spaß macht. Verstelle dich nicht, lebe deine Werte, und schaffe Vertrauen, indem du offen bist im Lob und in der Kritik. Lege alles auf den Tisch, dann kriegst du Vertrauen und kannst es selbst geben. 

Vielen Dank, Harald, für das interessante Gespräch und deine wertvollen Impulse!

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