09.08.2021

Janus fragt - Experten antworten #2

Berufspilotin Sandra Linder erläutert, wie Unternehmen eine positive Fehlerkultur etablieren können und welche Rolle dabei den Leadern zukommt.

Für die Luftfahrtbranche gehört die Analyse von Fehlern und der konstruktive Umgang damit zur überlebenswichtigen Disziplin. Wie eine positive Fehlerkultur aussieht und welche Rolle dabei Vertrauen spielt, darüber sprechen wir mit Berufspilotin Sandra Linder. Die erfahrene Fliegerin hält auch Seminare zum Thema Fehlerkultur und ihr Credo sollten wir verinnerlichen: Es geht darum, die Ursache zu finden und nicht den Schuldigen zu bestrafen.

Was ist das Fundament einer offenen Haltung gegenüber Fehlern, Frau Linder?

Vertrauen und Straffreiheit, das sind die zwei wesentlichen Elemente offener Fehlerkultur. Entscheidend ist ja, richtig mit Fehlern umzugehen. Und nicht zu schweigen, sodass andere dieselben Fehler wiederholen. Dies kann es nur in einer Umgebung geben, in der sich Menschen einander anvertrauen können – ohne Angst vor einer ‚Strafe‘. Je freier ich mich in meiner Arbeitsumgebung bewegen kann, wir nennen das im Cockpit auch eine Atmosphäre psychologischer Sicherheit, umso niedriger ist die Hürde, Fehler einzugestehen. Wir haben beste Erfahrungen damit gemacht, aufrichtig und ohne zu verurteilen, gemeinsam mit dem Mitarbeiter herauszufinden, wo etwas optimiert werden kann. Es geht immer um Fakten und Lösungen, nie um Schuldzuweisungen.

Wie schaffen es Unternehmen, eine solche Atmosphäre zu etablieren?

Diese Kultur kommt nicht von selbst. Man muss sie wollen, aktiv gestalten und von oben vorleben. An Bord obliegt es dem Kapitän, diese Haltung vorzuleben. Eine gute Führungskraft, ein guter Kapitän vertraut nicht nur sich selbst, sondern glaubt ebenso sehr und uneingeschränkt an die Fähigkeiten seiner Crew. Damit gibt er den Teamkollegen die Möglichkeit, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Dadurch können sie innere Sicherheit erlangen und Selbstvertrauen aufbauen. Wichtig ist auch, dass die Führungskraft selbst frei und offen über eigene Fehler spricht und sowohl sich und als auch den anderen die Möglichkeit gibt, daraus zu lernen.

Gerade in der Luftfahrt ist es ja überlebenswichtig, nicht nur miteinander, sondern auch voneinander zu lernen.

Absolut! In unserer Hochsicherheitsbranche haben wir nicht die Zeit, dass alle die gleichen Fehler einzeln machen. Wir müssen transparent sein. Wir müssen unsere Fehler quasi allen anderen auch zugänglich machen. Sodass wir nicht nur aus unseren eigenen Fehlern lernen können, sondern auch aus den Fehlern der anderen. Und das machen wir sehr offensiv. Wir publizieren unsere Fehler strukturiert an alle unsere Kollegen. Wir haben eine Plattform geschaffen, von anderen Fehlern zu lernen. Übrigens: In der Luftfahrt ist es selten eine einzige Ursache, es sind oft Fehlerketten, die letztlich zu einem größeren Scheitern führen. Es gibt Forschungen, die besagen, dass bei 80 Prozent der Vorfälle die mangelhafte Kommunikation eine entscheidende Rolle spielt.

Was sind Learnings im Bereich Kommunikation?

Im Cockpit ist eine besondere Arbeitsweise gefragt. Wenn Zeit ist, um Dinge miteinander zu besprechen, ist es einfach. Aber es gibt Situationen, da muss im Team schnell entschieden werden. Deswegen trainieren wir in unseren Aus- und Fortbildungen intensiv, wie wir situationsangepasst kommunizieren. Es reicht nicht, einfach eine Information zu sagen, es geht auch darum, wie und ob sie beim Kollegen richtig angekommen ist. Erst wenn mir dieser auch bestätigt hat, dass er den Satz verstanden hat, dann ist für mich die Botschaft angekommen. Für jede Handlung gilt stets die geschlossene Feedbackschleife: Es sind immer Sender und Empfänger gleichermaßen verantwortlich, dass die Information richtig ankommt. Dies gilt auch für die Kommunikation zwischen den Piloten und der Crew in der Kabine.

Was ist Ihr persönliches Learning als Pilotin aus der Krisenzeit? Wie sind Sie damit umgegangen, am Boden bleiben zu müssen?

Es hat mir sehr geholfen, dass ich mich schon vor der Krise intensiv mit Themen wie Achtsamkeit, Mindfulness und Meditation auseinandergesetzt habe. Und genau diesen Themen kommt meiner Meinung nach künftig auch in der Fliegerei eine größere Bedeutung zu. Nur weil wir es gewohnt sind, auch im Stress schnell zu entscheiden, bedeutet das noch lange nicht, dass wir persönlich leicht Krisen meistern. Resilienz wird in der Luftfahrt künftig genauso wichtig werden, wie in anderen Branchen.

Vielen herzlichen Dank, liebe Frau Linder!

 

Fotodredit: Thorsten Jochim

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Tine Gasser
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