#6 Storytelling
„Und die Moral von der Geschicht: Darum geht´s beim Storytelling nicht!“ In unserem sechsten Interview unserer Expert:innenreihe spricht unsere Kollegin Vanessa Daun darüber, was gutes Storytelling ausmacht und wie der Weg zu einer guten Geschichte aussieht.
Wo treffe ich Dich gerade, liebe Vanessa?
In Mainz, in unserer Wohnung. Nicht weit entfernt von mir sitzt mein Mann, mit Kopfhörern, aber er würde sowieso nicht viel verstehen, er ist Finne und wir sprechen englisch miteinander.
Du bist Halb-Französin, sprichst auch Französisch. Kannst Du also in drei Sprachen trainieren und beraten? –Das finde ich toll und könnte ich auch gerne …
Ja. Das stimmt. Bis zum Finnischen hat es allerdings noch nicht gereicht :).
Du warst in Deinem ersten beruflichen Leben Schauspielerin und Regisseurin. Was hat das mit unserem heutigen Thema „Storytelling“ zu tun? Hat es überhaupt etwas damit zu tun?
Ja, natürlich, als Schauspieler:innen und Regisseur:innen erzählen wir ja immer auch Geschichten und versuchen, das möglichst gut, einprägsam, bewegend und berührend zu machen, insofern gibt es hier eine ganz direkte Verbindung.
Ok, das war eine etwas naive Frage … Wie kamst Du von der Schauspielerei zur Beratung?
Ich hab‘ meine Beamtenstelle als Schauspielerin verlassen und mich mit einem Trainingsunternehmen für Menschen im öffentlichen Raum selbstständig gemacht. Einer unserer ersten größeren Aufträge war es, die Chefredaktionen der Neuen Zürcher Zeitung fit zu machen – sowohl für die Anforderungen von Kameras und Studioformaten als auch für öffentliche Auftritte und Formate für und in Social Media. Später kamen dann Trainings und Coachings für Führungskräfte zu den Themen Storytelling, Change und Emotionaler Intelligenz dazu. Heute begleite ich vornehmlich Organisations- und Strategieentwicklungsprozesse.
Jetzt haben wir das Wort Storytelling schon öfter fallen lassen. Gibt doch mal Deine Definition davon, bitte.
Eine gute Geschichte öffnet immer für weitere Schritte und sorgt für mehr Bereitschaft hinzuhören. Storytelling benutzt die Technik und den Aufbau von guten Geschichten, um eine Botschaft an Emotionen zu knüpfen und über Emotionen zu transportieren. Die Botschaften müssen dabei nicht einmal gleich ganz verstanden oder akzeptiert werden. Zum Beispiel kann eine gute Geschichte die Unternehmenshistorie in aller Kürze fassbar, plastisch und anschlussfähig zu machen. Wie die Geschichte von Dunlop. Kennst Du die?
Nein, erzähle!
Im Jahr 1888 gab es einen schottischen Tierarzt namens John Boyd Dunlop, dessen Sohn zum Geburtstag ein Dreirad geschenkt bekam. Die Praxis des Veterinärs war im Wohnhaus der Familie und das laute Scheppern der Räder des Dreirads auf dem Boden machte die Tiere, die ohnehin schon nervös waren, noch nervöser. Kurzerhand wickelte der praktisch veranlagte Dunlop dünne Gummistreifen um die Reifen, die er zusammenklebte und mit Luft füllte, um die Geräusche der Räder zu dämpfen. Das war der Beginn der Bereifung und der erste Schritt in der langen Lebensdauer einer Marke.
Schöne Geschichte, ich werde nun wahrscheinlich immer, wenn ich irgendwo Dunlop lese, daran denken. – Wo finden wir überall Storytelling? Mir fallen teilweise grandiose TED-Talks ein, in denen es den Redner:innen gelingt, mich sofort in ihr Thema reinzuziehen, meist mit einer persönlichen, emotionalen Geschichte.
Am bekanntesten sind drei Arten von Storytelling im Business. Die Business-Story, wie bei Dunlop hab' ich ja schon beispielhaft erzählt. Die zweite ist die Lern- oder Entwicklungsstory. Dabei begibt sich ein:e Held:in, – also z.B. ein:e Coachee, ein Team, eine Abteilung – auf eine Reise, hat Hindernisse zu überwinden, ist letztlich erfolgreich und zieht Lehren.
Und die dritte?
Die dritte ist die sogenannte „relational story“, wie Du sie aus den TED-Talks kennst: Du kennst als Redner:in deine Zuhörenden nicht, weißt nicht, wo sie stehen, möchtest aber, dass sie Deiner Expertise vertrauen und Dir weiter zuhören. TED-Redner:innen haben für jeden Abschnitt des Vortrags eine Message, die sie platzieren wollen. Jeder dieser Abschnitte ist meist mit einer hoch anschlussfähigen, emotionalen & persönlichen Geschichte verknüpft. Als Zuhörer:in verbindest Du Dich damit und die Botschaft ist gesetzt.
Du sprichst so lebhaft und leidenschaftlich über Storytelling. Was ist daran für Dich so fesselnd?
Mit Geschichten kann ich Menschen jeglicher Bildungsstufe, jedes Hintergrundes, unterschiedlichster Lernhorizonte und Lernziele erreichen und gewinnen. Bei Janus arbeiten wir ja in den verschiedensten Unternehmenskontexten und mit unterschiedlichsten Zielgruppen. Das geht vom Topmanagement in der Finanzbranche bis zu Schichtarbeitenden in der Produktion. Und allen wollen wir z.B. das auf den ersten Blick recht abstrakte 4-Ohren-Modell (Appellohr, Selbstoffenbarungsohr …) nahebringen. Mit einer einfachen Geschichte, die Schulz von Thun ja selbst erzählt: „Die Ampel ist grün!“, gelingt das total einfach, egal in welchem Kontext (Wer die Geschichte nicht kennt, findet sie hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Vier-Seiten-Modell).
Und wie coachst/trainierst Du das Thema Storytelling? Was sind typische Elemente eines Trainings?
Meine Trainings sind sehr praxisorientiert. Die Teilnehmenden kommen mit einem konkreten Anliegen und entwickeln ihre eigene Geschichte dazu. Sie klären für sich, was für ein Storytelling-Typ sie sind. Als Unterstützung für diesen Prozess nutzen wir gerne das Persönlichkeitsmodell INSIGHTS. Mit Hilfe eines weiteren Modells finden und beschreiben sie dann Elemente der Situation, die für ihre Geschichte relevant sind. In mehreren Etappen arbeiten sie sich dann zu Ihrer Geschichte.
Zwischendurch gefragt: Was sind typische Anliegen, mit denen die Teilnehmenden kommen?
Echte Beispiele sind: „Wie verankere ich das Thema Nachhaltigkeit in unserer Unternehmensstrategie?“ Oder: „Wie verbessere ich die Stimmung in meinem Team, wenn jede:r das Gefühl hat, mehr zu arbeiten als der:die andere? Wie stärke ich hier (wieder) das Gemeinschaftsgefühl?“ Oder: „Wie gewinne ich Menschen dazu, ihre alten Fahrräder Geflüchteten zur Verfügung zu stellen?“
Auch darüber könnte man weitersprechen. –Aber komm noch mal zurück zu den Elementen, bitte!
Der Knackpunkt jeder Geschichte ist die Key Message. Die Leute haben in der Regel eine vage Idee von ihrer zentralen Botschaft. Diese entwickeln wir weiter und formen sie aus, bis sie wirklich passt. Die Holländerin mit den Fahrrädern hatte irgendwann ihre Botschaft verdichtet in dem Satz „Ring your bell.“ In ihrem Vortrag hat sie dann auch tatsächlich eine Glocke eingebaut, die sie an verschiedenen Punkten ihres Vortrags eingebaut hat.
Gibt’s auch Kritik am Storytelling?
Ja, es gibt einen wichtigen Einwand, den ich gut verstehen kann: dass wir mit Geschichten manipuliert werden bzw. manipuliert werden können. Und das findet ja auch statt. Die Welt ist voll mit lauten Geschichten, die uns zu irgendetwas bringen sollen: Einkaufen, spenden, unterstützen, Partei ergreifen … Das Gute: Wenn wir selbst gute Storyteller sind, durchschauen wir das leichter. Und: Wir brauchen viel mehr Geschichten, die Menschen für etwas Gutes gewinnen!
Da haben wir es wieder, das zieht sich durch diese Interviewreihe mit Janus-Menschen: Auch Du möchtest die Welt verbessern.
Ich bezweifle, dass ich das kann, aber ja, ich möchte gerne meinen Beitrag leisten mit dem, was ich kann.
Was sagen Teilnehmende, wie lesen sich typische Rückmeldungen?
Dadurch, dass ich mich sehr auf die Teilnehmenden einstelle, sind die Leute schon recht begeistert. Frauen sagen oft, dass sie sich durch mich ermutigt fühlen, ihre Geschichten zu erzählen. Und ein herausfordernder Teilnehmer hat mich kürzlich sehr anerkannt, weil ich es aus seiner Sicht schaffe, für jede:n Einzelne:n individuelle Lernbotschaften zu platzieren. Das konnte ich gut nehmen und hat mich sehr gefreut!
Zum Schluss: Gibt es auch schlechtes Storytelling?
Was ich persönlich gar nicht mag ist, wenn am Schluss „die Moral von der Geschichte" mit dem Holzhammer daherkommt. Im besten Fall bieten Geschichten einen Raum, in dem sich der Mensch selbst zurechtfindet und eigene Schlüsse zieht. Storytelling ist eine Einladung in (m)einen Denk- und Themenraum, eine Einladung, ein Stück des Weges mitzugehen. Wo Du als Zuhörer:in dann rauskommst, ist Deine Entscheidung.