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Begegnung im Dialog
In diesem Jahr haben wir uns bei Janus das Thema 𝗗𝗶𝗮𝗹𝗼𝗴𝗸𝗼𝗺𝗽𝗲𝘁𝗲𝗻𝘇 als internes Fokusthema vorgenommen. Denn wir glauben: Echtes Miteinander entsteht dort, wo Worte nicht nur ausgetauscht, sondern verstanden werden. Unser ehemaliger Praktikant Ferdinand hat in kurzer Zeit nicht nur unsere Sicht auf "wahrhaftigen" Dialog erfasst, sondern sie gleich mit eigenen Gedanken bereichert - und wir lieben seinen philosophischen Ansatz! Sein Text zeigt, warum Zuhören mehr ist als Stille und wie Worte Brücken bauen (oder sie zum Einstürzen bringen...) können.
Wir bei Janus sind überzeugt, dass der Dialog eine Begegnung ermöglicht, die echt ist. Anders als häufig angenommen, bezieht sich der Begriff „Dialog“ keineswegs nur auf ein Gespräch zwischen zwei Personen, denn das Wort leitet sich aus dem altgriechischen διά (durch, hindurch) ab und nicht wie oft vermutet von δίς (zweimal, zweifach). „Dia-logos“ bedeutet sinngemäß das „Fließen von Worten“ und beschränkt sich nicht auf die Anzahl der Gesprächspartner. Vielmehr geht es darum, durch (διά) Worte (λόγος) in Verbindung zu treten – mit einem Selbst, mit einer anderen Person oder einer ganzen Gruppe. In Zeiten der digitalen Medien, die zunehmend von Oberflächlichkeit und schnellen Urteilen geprägt sind, bietet der Dialog einen Raum für tiefere, authentische Begegnungen. Die „Verbindung“ ist ein zentrales Element: Anders als in einer Diskussion (lat. discutere – zerschlagen), bei der eine Meinung die andere „zerschlägt“, dient der Dialog der gemeinsamen Sinnbildung.
Sokrates nutzte den Dialog, um einen individuellen Erkenntnisgewinn des Gegenübers zu provozieren. David Bohm verwendete ihn, um kollektives Verständnis von Verzerrungen zu befreien, und Carl Rogers verstand den Dialog als Werkzeug der Heilung und Weiterentwicklung. Wir bei Janus glauben, dass alle drei Perspektiven richtig sind: Der Dialog dient dem Erkenntnisgewinn, dem Schaffen einer kollektiven Wahrnehmung und der Weiterentwicklung von Menschen. Er ist ein zentrales Werkzeug für produktives Miteinander und kollektive Sinnbildung. In einer Welt, die oft von festen, unerschütterlichen Standpunkten geprägt ist, fordert der Dialog uns heraus, die Perspektive des anderen zu verstehen und gemeinsam Neues zu schaffen.
Wie also können wir uns in den Dialog begeben?
Schritt 1: Das Zuhören
„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ – Volksweisheit, 19. Jahrhundert
Jeder weiß, dass mit „Schweigen“ eigentlich „Zuhören“ gemeint ist, und dennoch wird uns spätestens in der Schule klar, dass zwischen diesen beiden Begriffen Welten liegen. Echtes Zuhören ermöglicht erst den Dialog. Daher ist das Erlernen des Zuhörens auch der erste Grundstein in systemischen Coaching- und den klassischen Therapieausbildungen.
In unserer Welt spricht man oft vom sogenannten „Aktiven Zuhören“. Hierbei geht es nicht nur um aufmerksame Körpersprache, Blickkontakt oder kleine verbale Reaktionen, sondern auch um Techniken wie Paraphrasieren, Empathie zeigen und gezieltes Nachfragen, um das Gesagte wirklich zu erfassen. Das Ziel ist es, nicht nur zu hören, sondern auch zu verstehen – sowohl den Inhalt als auch die dahinterliegende Emotion.
Der Begründer der Gesprächstherapie, Carl Rogers, legte großen Wert auf das Paraphrasieren. Dies ging so weit, dass Rogers in Gruppen die Regel etablierte, dass die eigenen Gedanken erst geäußert werden durften, wenn der Redebeitrag des Vorredners zu dessen voller Zufriedenheit paraphrasiert worden war. Auf diese Weise waren Gesprächsteilnehmer gezwungen, ihre eigenen Reaktionen auf das Gesagte so lange zurückzuhalten, bis das Gesagte für alle verständlich zusammengefasst wurde. Denn nur wenn wir wirklich verstehen, was die andere Person meint, können wir uns in den Dialog begeben.
Aktives Zuhören ist also nicht nur eine Technik, sondern ein Ausdruck von Respekt und Wertschätzung gegenüber der anderen Person. Es schafft Vertrauen und eröffnet den Raum für echte Begegnungen.
Natürlich ist dies in der Praxis ein sehr hohes Ziel. Es wäre unrealistisch zu erwarten, dass jedes Gespräch in einer perfekten Zuhörhaltung geführt wird. Oft reicht es bereits, bewusst zuzuhören, nicht sofort zu urteilen und sich darum zu bemühen, das Gegenüber wirklich zu verstehen. Schon kleine Schritte in diese Richtung können die Qualität unserer Gespräche erheblich verbessern.
Schritt 2: Die Worte fließen lassen
„Durch Worte und Begriffe werden wir immer wieder verführt, die Dinge uns einfacher zu denken, als sie sind.“ – Friedrich Nietzsche
Wie Nietzsche bereits erkannte, ist der Weg vom Gedanken zum Wort lang, und leider lässt sich nicht jeder Gedanke problemlos in Worte fassen. Um jedoch im Dialog eine echte Begegnung zu ermöglichen, müssen wir unsere Gedanken durch Sprache zugänglich machen. Auch hier ist es Carl Rogers, der sich dieser Herausforderung sehr bewusst war und sie in die Philosophie seiner Gesprächstherapie einarbeitete.
„A good therapist says what he thinks to be true, an excellent therapist says the truth about what he thinks.“ – Carl Rogers
Es geht also darum, mutig genug zu sein, die Wahrheit der eigenen Gedanken zu artikulieren, anstatt sie zu verbiegen, damit sie einer vermeintlichen Wahrheit entsprechen. Dieser Schritt erfordert einen grundlegenden Perspektivwechsel in der Art und Weise, wie viele Menschen sich ausdrücken: Wahrheit erfordert Mut, und ein Dialog, in dem die Wahrheit nicht zur Sprache kommt, bleibt oberflächlich. Erst wenn wir wahrhaftig zuhören und ehrlich sprechen, kann ein Gespräch zum Dialog, und ein Dialog zu einer echten Begegnung werden. In einer solchen Begegnung im Dialog werden wahre Gedanken aufgenommen, paraphrasiert, um sie arbeitsfähig zu machen, und mit neuen Gedanken ergänzt. Der Austausch wird so zu einem dynamischen Prozess der Weiterentwicklung. Anders als in einer Diskussion, in der ein Gedanke den anderen verdrängt, gibt es im Dialog keinen Gewinner oder Verlierer. Der Dialog ermöglicht es, wahre Gedanken aufeinander aufzubauen, miteinander zu verbinden und etwas zu schaffen, das vorher nicht da war – Begegnung.